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Flucht aus Eberswalde nach München, August/September 1989: Staatsgrenze Ungarn/Österreich [8/23]

INFORMATIONEN ZUM OBJEKT

Details

September 1989
Zwischen Jak (Ungarn) und Oberbildein (Österreich)
Urheber: Hans-Michael Fritz

Lizenztyp: Creative Commons License

Abgebildet

Eine Person, Frau, Grenzschild, Natur, Wachlokal

Kontext

Angst, Ausweis, Familie, Flucht, Fluchthelfer, Fluchtweg, Freiheit, Geistlicher, Grenzsicherung, Natur, Reise, Sicherheit, Überwachung

Orte

Sankt-Georg-Kirche

Text im Bild

Achtung / Staatsgrenze / Fahrbahnmitte

Alle Bilder des Albums

Erinnerung

"Die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse sowie verschiedene Ereignisse, nicht zuletzt die jahrelange Observation der Familie durch den Staatssicherheitsdienst der DDR, waren die prägenden Einflüsse zum Heranreifen des Fluchtwillens im Januar 1989.

Zunächst wollte ich alleine fliehen und traf entsprechende Vorbereitungen. Doch nachdem mein Versuch, bei der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Warschau vorzusprechen, erfolglos war, kehrte ich in die DDR zurück. Meine Frau und ich trafen nun den Entschluss, gemeinsam über Ungarn zu fliehen. Ein Reiseantrag war gestellt. Als Reisegepäck wurde nur persönliche Wäsche für einen '14-tägigen Urlaub' Ende August 1989 ausgewählt. Kein Messtischblatt von der Grenzregion, wo die Flucht stattfinden sollte, kein Kompass. Es sollte keinen Hinweis auf die Flucht geben. Nur ein Autoatlas war unsere Hilfe.

In Ungarn angekommen suchten wir eine Freundin auf und weihten sie ein. Sie schrieb uns drei Nachrichten in ungarischer Sprache, die uns als hilfesuchende Flüchtlinge darstellten. Diese leisteten uns später noch wertvolle Hilfe. Unser Ziel war eine romanische Kirche im Dörfchen Jak, etwa vier Kilometer vom Eisernen Vorhang zum österreichischen Südburgenland entfernt. Dort gelang uns die Kontaktaufnahme zum Pfarrer der Kirche, der uns bis zur völligen Dunkelheit Asyl im Pfarrhaus gewährte und uns dann mit dem Pkw bis zum Dorfrand fuhr.

Nun begann eine Odyssee über circa zwölf Stunden in der stockfinsteren regennassen Nacht. Am nächsten Morgen waren wir physisch und auch psychisch am Ende und wollten uns schon den ungarischen Grenzern stellen. Dann der plötzliche Gedanke: Niemals wieder zurück! Es ging also im Morgengrauen weiter, ohne in der Busch- und Weidelandschaft jemals die Grenze entdecken zu können. Ein ungarischer Bauer half uns auf den letzten 200 Metern. Wir hetzten zum Grenzzaun aus Dornengestrüpp und Stacheldraht und krochen mit letzter Kraft hindurch. Niemand hinderte uns daran, obwohl ein Wachturm in nächster Nähe sichtbar war. Verunsichert und vorsichtig wanderten wir bis zum nächsten Ort, Oberbildein im südlichen Burgenland. Dort griff uns am Sonntagmorgen gegen 9.30 Uhr eine Streife der Zollwache auf.

Erst in der sicheren Obhut der Zollwache und später beim Österreichischen Roten Kreuz in Güssing überkam uns die Gewissheit, dass wir in der Freiheit angelangt waren. Nach insgesamt sieben Tagen Odyssee über Polen, Tschechoslowakei, Ungarn und Österreich waren wir endlich an unserem Ziel München angekommen.

Im September 1989 reiste ich, mit dem grünen Reisepass der Bundesrepublik ausgestattet, zur Bezirksbehörde des ungarischen Staatssicherheitsdienstes in Szombathely und holte von dort den zurückgelassenen Pkw ab. Das grüne Dokument half mir sehr, die ständige Angst vor einer Verhaftung erfolgreich zu verdrängen. Auf dieser Reise, auf der meine Frau mich bis zur österreichisch-ungarischen Grenze begleitete, entstanden im Landkreis Güssing auch die Fotos, aufgenommen etwa zwei Kilometer von unserem damaligen Fluchtweg entfernt."

Hans-Michael Fritz (Eberswalde und München, heute wohnhaft in Schweina)