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Das Projekt ARTich aus dem Spreewald: Performance „ARTich“ im Klubhaus der Jugend in Cottbus [1/18]

INFORMATIONEN ZUM OBJEKT

Details

21. September bis 20. Dezember 1989
Cottbus, Straße der Jugend 16
Urheber: Thomas Kläber, Jörg Ackermann

Lizenztyp: Creative Commons License

Im Klubhaus der Jugend wurde unter der Verantwortung von Jörg Tudyka die Veranstaltungsreihe "Konfrontation" organisiert. Im Herbst 1989 führte hier Jörg Ackermann die Performance "Körperhüllen" auf. Im Zusammenspiel verschiedener Kunstformen, wie Musik, Tanz und Mode, wurde der Versuch unternommen, den sichtbaren Verfall der DDR-Gesellschaft ebenso zu thematisieren wie auch das Gefühl der Enge und des "Eingesperrtseins" anschaulich zu machen.

Abgebildet

Kostümierung, Kunstaktion, Mehrere Personen, Mode

Orte

Cottbus

Alle Bilder des Albums

Erinnerung

"Im Jahre 1988 war ich gerade fertig mit meinem Studium der Kultur- und Literaturwissenschaften an der Humboldt Universität Berlin. Ich hatte mich in meiner Diplomarbeit intensiv mit dem Bauhaus Weimar/Dessau/Berlin 1919-1933 beschäftigt. Außerdem war ich fertig mit meiner Ausbildung als Staatlich anerkannter Zirkelleiter im Bildnerischen Volkkunstschaffen am Bezirkskabinett für Kulturarbeit (die Titel in der DDR waren besonders unterhaltsam) und schon einige Jahre im Staatsapparat als Stellvertreter des Ratsmitgliedes für Kultur im Rat eines Kreises. Ich war also sozusagen reif!

In der DDR hatten wir allesamt gelernt, uns auszudrücken, ohne konkrete Worte zu benutzen. Also verstärkt in Musik, Tanz und Performance – die man damals noch nicht so nennen durfte, weil imperialistischer Mist.

Nun war aber ARTich im besten Sinne eine Performance. Wir haben mit Körperhüllen (eine Wortkreation meines großen Inspirators Issey Miyake aus Japan, der zu dieser Zeit Aufsehen mit seinen Modekollektionen provozierte), Musik und Darstellungsweise eine neue Form geschaffen, die es so noch nicht gab, 1988 aber merkwürdigerweise aus mehreren Ecken der Republik zu kommen schien. Ich bemerkte das, weil es auch Erfahrungsaustausch und Zusammenkünfte zum gegenseitigen Lernen gab.

Wir hatten ja alle die Schnauze voll, nichts bewegte sich mehr, die Agonie war überall, der Wille zur Veränderung formte sich, in welcher Form auch immer. An Revolution haben wir alle nicht gedacht, waren wir doch noch gefangen in hohlen Parolen und blödsinnigem Klassenkampf.

Spaß schaffte man sich in kleinen Zirkeln, so auch bei uns. Und wir hatten viel Spaß! Wir waren also 8 bis 14 junge Leute, die etwas gemeinsam auf eine Bühne stellen wollten. Wir kamen aus den verschiedensten Bereichen, waren Frisöre, Mechaniker, Schüler, Verwaltungsbeamte, verwöhnte Gören und zielstrebig Familienbildende. Ein Querschnitt durch die ganze DDR.

Wir suchten und fanden den Namen ARTich, der – wie alles, was wir hier machten – eine wunderbare Mehrfachbedeutung besaß. Wir machten etwas in einer bestimmten Art und Weise, gleichzeitig ist Art natürlich auch Kunst und der Bezug zum ich ist ja wohl klar.
Durch einheitlich weiß geschminkte Gesichter wollten wir eigentlich das Individuum wegschminken und voll in das allgemein gewünschte Kollektiv aufgehen. Wir erreichten aber genau das Gegenteil. Jeder bekam seine eigenen Züge besonders herausgestellt. Gleichzeitig wirkte aber alles wie versteinert. Ein schöner Nebeneffekt! Und wir hatten viel Spaß, als wir uns so das erste Mal gesehen haben.

Die Musikauswahl und der – heute würde man die Zusammenstellung Sampeln nennen – Mix aller Musikstücke, Textfetzen, Melodiezitate und Umgang mit dem berühmten Allgemeingut an Hits hat wirklich in jeder Note, in jedem Satz, in jeder Bandbezeichnung eine Bedeutung. Prinzip war, das Publikum an etwas Neues zu führen. Und dies so rigoros wie möglich. Das schafften wir wirklich gut mit der Musik, mit der Ausführlichkeit der Blöcke und mit ungewöhnlichen Bewegungen. Ich freute mich immer besonders, wenn aus dem Publikum der Ruf kam: 'Aufhören', was ja auch schon wieder so schön mehrdeutig war, wollten wir doch die DDR darstellen.

Beim Licht waren wir sehr sparsam, es gab nur Spots auf die einzelnen Akteure. Um einen Scheinwerfer zu bekommen, haben wir Wochen gebraucht. Hier hatten wir mal keinen Spaß.
Die Musik wurde – weil tolle Beziehungen hierher – im Tonstudio der Akademie der Künste in Berlin gemischt. Ich habe immer noch das ORWO-Originalband, natürlich inzwischen auch in digitalisierter Form. Leider kann man bei 'Wir waren so frei' die Musik nicht hören, die unverzichtbarer Mitgestalter war. Ich danke aber dem Fotografen, der in besonderer Weise alles festgehalten hat.

Eine besondere Bedeutung hatte das Schuhwerk. Es wurden Arbeitsschuhe und Gummistiefel zerschnitten, beflochten, umgekrempelt, aber auch pur benutzt: wir stehen in der Sch… bis zu den Knien, das aber fest und sicher! Dieses Schuhwerk sorgte fast für eine Modewelle. Wie alles bekam man auch dieses schwer zu kaufen. Man hatte nicht immer viel Spaß.

Block eins:
Mit Bearbeitung des Eröffnungsmotivs aus Beethovens Fünfter, dem sogenannten Pochen des Schicksals an die Tür, haben wir für Ruhe gesorgt. Ein kurzer Satz aus einem Stück von Laurie Anderson über paranormale Tonbandstimmen war natürlich auf die Stasimitschnitte gemünzt (example 22 – die Anzahl der Geräte können wir leider nicht bestätigen).

Mit dem anschließenden längsten Musikstück als Opener von einer Free-Jazz-Band, das zu Beginn wie eine Ansammlung von Fanfaren und dann mit schönsten Krach die Grundlage für langsames Schreiten schuf, haben wir gezeigt: Aufpassen, hier passiert etwas. Und wir haben für eine sehr bestimmende Art der Entschleunigung gesorgt, völlig neu, weil bei Modeschauen, zu deren Kategorie wir geordnet wurden, eigentlich immer alles fröhlich und stampfend präsentiert wurde.

Die Klamotten bestanden aus Teppichband, das zu Flächen gewebt wurde. Die Kopfbedeckungen waren kubistisch inspiriert (siehe Bauhaus)und teilweise mit Stroh gefüllt, wie auch die Schuhe. Ein Zeichen, wie viel Stroh in manchen Köpfen steckte.

Block zwei:
In mühseliger Sammelei von Resten aus dem VEB Trikotagenwerk, das vor allem für das westliche Ausland T-Shirts produzierte, und aus vielen bunten, langen und kurzen Reißverschlüssen wurden Kleider und Hosen geschaffen, die erst einfarbig dunkelblau eng am Körper lagen und dann durch das Öffnen der Verschlüsse zu weiten, bequemen und vor allem bunten Hüllen wurden. Hier wollten wir einfach zeigen, macht doch endlich alles durchlässiger: die Grenzen, die Politbüro-Festlegungen und diese furchtbar verquere Sprache.
Musik war Punk von Yello Biafra und Lard.

Block drei:
Der martialischste Block, was aber kein Mensch gesehen hat. Zarte, rote Seidenkleider und -hemden wurden mit Lederstücken, die Rüstungen, Arbeitskleidung oder auch modisches Rüstzeug bedeuten sollten, zusammengehalten. Dieses Leder wurde von Person zu Person weggerissen, so dass man völlig verletzlich dastand, rohes Fleisch zeigend. Das Ganze wurde auf der roten Seide mit floralen Malereien verbrämt. Ich bin heute noch froh, dass ich das damals niemandem erklären musste. Alle fanden es nur schön. Ich hatte viel Spaß.

Block vier:
Zur wirklich fröhlichen Musik von Axel Donner, einem berühmten DDR-Jazzer, tanzten alle wild durcheinander. Selbst gefertigter Blaudruck, ein absolutes Privileg in der DDR (ich kannte einen Architekten, der das Blaudrucken in seiner Stadt wiederbelebt hat). Motive waren Fehldrucke oder wie Explosionen aussehenden Streifen. Dekoriert waren alle mit dem blödesten Kinderspielzeug wie Tuten, Rasseln oder anderem, aber auch mit farbigen Hosenträgern und Krawatten und Leggins. Das alles war so schrecklich, dass es natürlich schon wieder schön war. Nach dem Stoff haben sich hinterher Damen und Herren aus dem Publikum gerissen, wir haben aber nie welchen weggegeben.
Eingeleitet wurde der Block mit Madness 'Heavy heavy monster sound'.

Block 5:
Eingeleitet von Kreislers 'Geh´n wir Tauben vergiften im Park' – schönster Wiener Schmäh und Zeichen für die Langeweile nun der Teil mit dem Unfertigen. Braune, rudimentäre Kleidungstücke wurden mit angesetzten Lederstreifenstrickereien versucht zu ergänzen. Teilweise steckten noch die Nadeln im Leder. Zeichen für eine Gesellschaft, die nie fertig gestaltet war, obwohl man immer behauptete, sie sei perfekt, weil ja Diktatur des Proletariats.
Leider weiß ich den Namen der Band nicht (oder ich wusste ihn nie), aber es war eine so tolle Musik, die nur aus Rhythmus bestand, der aus Schlagzeug und weiblichem Stöhnen bestand (zur Perversion der Ankurbelung der Kinderproduktion kommen wir später). Die Pärchen begegneten sich im Gleichschritt vorwärts und rückwärts und verloren sich wieder. So wie im Leben.

Abschluss:
Mein absoluter Favorit: Hochzeitsoutfit
Unterbrochen von so schönen Einwürfen wie dem Ruf nach dem neuen Mann (ich glaube nicht an Monogamie) mit dem Intro von Queens 'Bicycle Race' (Ibrahim) und 'Ich ich liebe Dich' und 'All you need is love' habe ich mir all meinem Frust zum Zwang der Familienbildung von der Seele gerotzt. Wie kann man denn mit dem Erlassen von Krediten Kinderkriegen motivieren? Wie kann man überhaupt nur einen Menschen lieben? Für eine allseits gebildete sozialistische Persönlichkeit eigentlich ein Unding, weil total bürger- und christlich. Na ja, mit dieser Meinung ecke ich auch heute an.

Besonders viel Spaß hatten wir, als ich dann als absolute Kompetenz für Mode im Bezirk gehandelt wurde und somit prädestiniert war für den Vorsitz der Arbeitsgruppe Mode beim Bezirkskabinett für Kulturarbeit (diese Titel mag ich immer noch). Ein wichtiger Posten bei der Vergabe der sogenannten Pappen, mit denen man bei Einstufungen beglückt wurde oder auch nicht, um bei öffentlichen Auftritten auch zu verdienen (Kategorien gab es natürlich auch. Wir erreichten auf Anhieb die höchste). Das war uns Laienkünstlern nach dem Muster der Berufskünstler aufgedrückt worden. Und eigentlich haben wir auch schön die ein oder andere DDR-Mark dazu verdient, was uns aber nicht so wichtig war. Wir haben diese hinterher meist gleich verfeiert."

Idee und Konzeption, Musikauswahl: Jörg Ackermann
Choreografie und Licht, Herstellung: ARTich
Fotograf: Thomas Kläber

Original-Bildunterschrift

"Zu Orffs 'Oh Fortuna' der versöhnliche Ausblick. Erst einmal bilden alle eine Front, brechen dann in der Mitte auf und es gibt eine Gasse – Zeichen für die Öffnung in eine gute Zukunft, mit oder ohne Mann/Frau."